aus dem Katalog „Totentanz zu Budapest“ in der Hauptstädtischen Gemäldegalerie der Stadt Budapest, Ungarn, Juli 1992
Wenn Leiberg eine Linie, einen Strich setzt, dann ist dieser aber auch gleichzeitig sichtbare Aktion, Spur eines rhythmischen Elements, Geste, eine aus dem Körper schlagende Geheimschrift. In der kontinuierlichen Gegenwart von Schöpfung, und Formgebung, die antilinear erscheint, ungeordnet und unübersichtlich, eine zusammenhanglose Verkettung zufälliger Ereignisse, spiegelt sich die rätselhafte Einheit von Chaos und Ordnung – ihre Verschiedenheit und Gleichheit, das Aufeinanderverweisen von scheinbar gegensätzlichen Zuständen. Als Künstler und Musiker hat sich Helge Leiberg für das Zufällige in der Tiefe der Ordnung ganz besonders interessiert.
Das scheinbar gelenkte, das Lineare, sah er stets konfrontiert durch ein immerwährendes Chaotikum. IntermedialeVerschränkungen von Malerei, Tanz und Klang gehören deshalb zu seinen bevorzugten Artbeitsfeldern. Das Cross-Over im kommunikativen Verbund mit Malerkollegen Lyrikern und Jazzern nahm seinen Ausgangspunkt in Dresden zum Ende der 70er Jahre. Helge Leiberg galt damals als Innovator und zentrale Figur der nichtstaatstragenden Kultur. Seine Experimentalfilme und Körperprojektionen setzten in einer eigentümlichen Athmosphäre aus Trotz, Ironie und Selbstbewußtsein Akzente ästhetischer Expressivität und Verweigerung.
Über verschiedene neue Projekte und die Gründung diverser intermedialer Gruppen hat Leiberg bis heute seinem Programm der Herstellung von Wechselwirkungen zwischen den Künsten immer wieder andere Konturen verleihen können. Manchmal sind die Linien, die Helge Leiberg auf Leinwand oder Papier erscheinen läßt, Gerinsel, blutrot und brutal, manchmal gleichen sie zerfetzten Mullwickeln. Mit den elektronisch verfremdeten Kratzgeräuschen seines Noisepainting treibt er einen hinter dem Augenhintergrund rumorenden Dauerton Richtung Nacken und als Schauer- Serpentine zwischen den Schulterblättern hindurch.
Linien werden zu Zeichen auf der Tonspur und erzwingen den Schrei. In klingendem Zustand, mit Lust und Getöse flutet Farbe mit der Wirkung eines Ereignisses. Zwischen Eros und Thanatos hat Helge Leiberg einen Fluß gestaut, der die traditionelle „Totentanz“- Darstellung aus der erzählerischen Perspektive erhebt in rauschhaften Taumel