Texte

aus dem Katalog „Läuterung“ der Galerie Michael Schultz Berlin 2001

Mehr noch als den Bildern sieht man den Zeichnungen Helge Leibergs an, dass sie unmittelbar und aus dem Augenblick heraus entstehen. Seine Arbeitsweise ähnelt der asiatischer Kalligraphen, die nach Längeren Phasen der Konzentration in kurzer Zeit und rascher Folge ihre Tuschezeichnungen niederlegen. Mit wenigen reinen und leuchtenden Farben, vorwiegend Rot, Blau und Schwarz, fixiert er elementare Zeichen und Chiffren, kombiniert sich entwickelnde Gestalten zu turbulent agierenden Figurengruppen, die konzentriert mit sich selbst beschäftigt sind. Es wird gebalzt, geliebt, gekämpft, musiziert, getanzt. Leiberg öffnet den Blick auf das ganze Spektrum expressiver Lebensäußerung.

Er verknüpft Elemente des Ausdruckstanzes und ritueller Zeremonien außereuropäischer Volksstämme, lässt seine auf wenige Linienzüge reduzierten Figurinen wildgroteske Sprünge und erhabene Gesten ausführen. Vermittelt wird ein Gefühl von Rausch und Sinnlichkeit. Dabei unterlegt Leiberg erahnbaren, zuweilen durch die Präsenz von Trompetern, Saxophonisten und Kontrabassisten angedeuteten Klang und Rhythmus, dessen Wildheit die Rasanz der malerischen Geste entspricht. Trotz aller intuitiven Freiheit und Vitalität des Malprozesses wirken diese Darstellungen immer kompositorisch ausgewogen, nie dissonant, sondern geschlossen und tektonisch stabil. Eine überschäumende Kraft entlädt sich.

Zugleich ahnt man die meditative Anspannung, die hinter dem kreativen Akt steckt. Der Künstler reagiert auf seine Umwelt, wirft Informationen, Kommentaren gleich ein persönliches Statement auf Papierbögen, das sich in unmissverständlicher Sprache an den Betrachter wendet. Offener Raum und Körper. Gestaltung und Leere durchdringen sich auf weißer Fläche. deren lebendige Kraft jene Farbspritzer und Rinnsale intensiviert die sich um den Zug jedes mit leichter Hand geführten, tropfnassen Pinselstrichs formen. Leibergs spontane Setzungen teilen den Malgrund und beziehen ihn gleichzeitig aktiv in die Gestaltung ein. Aus eigener Energie entfaltet er im Zusammenspiel mit der koloristischen Interventionen Wirkung.

Besonders intensiv äußert sich das in jenen vibrierenden Partien, an denen Fließspuren und Farbkleckse Kontakt suchen, sich verdichten oder kurz vor einer Beinahe-Berührung abbrechen und versickern. Die Gliedmaßen seiner Figuren sind überlang, während die Köpfe unproportional klein erscheinen. So, als käme ihnen in diesem Geschehen eine mindere Bedeutung zu. Formensprache und Gestik lassen an magische, archaische Zeichnungen in der Sahara, Höhlenmalereien oder prähistorische Felsritzungen denken. Rätselhaft komplexe Spuren humaner Existenz. Beschwörungen. Man erlebt derartige visuelle Botschaften. Sie provozieren unser Assoziationsvermögen und eröffnen einen an und aufregenden Dialog.

Die moderne Kunst, ihre Bildvorstellungen und Bildzeichen gleichen in manchem den Anfangs- und Frühepochen der Menschheit. Das Heraufkommen seelisch latenter, unbewusster Urbilder. Eingravierungen der Kollektiverfahrungen und leiden in der Psyche, reflektiert sich im visuellen Bereich moderner Formgebung. Leibergs Werk bewegt sich in einer Traditionskette mit denen Klees, Miros, Soutters oder Michaux. Dass es Situationen mit autobiographischem Charakter sind, die der Maler anreißt, belegen nicht nur Anspielungen auf ihm bestens vertraute und im Rahmen seiner optischakustischen Performances genutzte Elemente aus der Musik Szene. Er setzt sich selbst in einer Suite von Selbstbildnissen frontal ins Bild.