Texte

Der 1954 in Dresden-Loschwitz geborene Künstler Helge Leiberg umschließt in seinem Schaffen den expressiven Ausdruck der menschlichen Figur in tänzerischer Bewegung. Sowohl seine Tuschezeichnungen und Leinwandarbeiten als auch seine Bronzeskulpturen zeigen Figuren mit überlangen Gliedmaßen, die sich teilweise in ekstatisch überdehnter Haltung zu einem imaginären Rhythmus bewegen. Dies trifft speziell auf die Zeichnungen zu, in denen die Hitze wilder Bewegungen in farblichen Explosionen ihren Niederschlag findet. Die mageren, fast fleischlosen Körper scheinen den Wunsch nach inniger Verbundenheit auszukämpfen, indem sie sich immer wieder annähern, sich wild umtanzen, sich mit ihren skelettartigen überlangen Findern zu greifen versuchen. Selten kommt es tatsächlich zu einer Berührung, die gleichsam erlösend wirkt. In den Tuschezeichnungen sieht man auch einzelne Figuren, deren Köpfe zu explodieren scheinen, deren Gliedmaßen sich in der vollkommenen Hingabe zum Tanz auflösen und abstrakte Formen annehmen. Doch in all der lebensbejahenden Agilität, in der vor Freude an Tanz und Fest hingerissenen Lebendigkeit, schleicht sich das Sinnbild des „Dance macabre“, des Totentanzes ein, die Darstellung von Menschen, die einen Reigen mit den Toten tanzen, von denen sie gepackt und weggerafft werden. Es sind vor allem der skelettartige Charakter, die mystische Geisterhaftigkeit der stilisierten, gesichtslosen Gestalten sowie ihre über alle Maßen ekstatische Haltung, die dieses Bild hervorrufen. Der Künstler hat sich in seinem Schaffen bereits öfter mit dem Totentanz auseinandergesetzt, Ausstellungen mit diesem Thema gab es unter anderem 1989 und 1991 in Berlin sowie 1994 in Hamburg.

Die Arbeiten von Helge Leiberg sind nicht ohne ihren musikalischen Hintergrund zu verstehen. Der Künstler spielte selbst Ende der 1980er Jahre in einer Malerband freier Musik (mit Michael Freudenberg und A.R. Penck), wo die Wechselwirkung Musik-Malerei untersucht wurde. Die Jazzmusik, besonders Miles Davis – zwischen „Somethin’ Else“ und „Bitches Brew“, wirken auf ihn gewaltig und beeinflussen sein Schaffen. So sehen auch wir in zahlreichen Bildern Saxophon- und Trompetenspieler, die die musikalische Bühne für die tanzenden Figuren schaffen. Dabei geht es um Improvisation, freie, teilweise lyrische, dann wieder extrem verdichtete Tonfolgen, die höchsten gestischen Ausdruck sowohl der Spieler als auch der Tänzer hervorrufen.

Trotz dieser Gegenwärtigkeit, die sich in die Ewigkeit zu projizieren scheint, vermitteln die Figuren etwas Archaisches, Mythisches. Sie könnten vor tausenden Jahren an die Wände von Höhlen gemalt worden sein. Das liegt auch daran, dass die Bildsprache der Figuren von Helge Leiberg eine der urältesten, im Menschen zutiefst verankerten und über alle Generationen, Kulturen und Zeitalter hinaus verständlichen bildlichen Umsetzungen des Menschen ist. Die Figuren drücken einen Moment des Seins aus, der die Grenze des Todes berührt, sich aber in einer ewigen, für alle Zeit festgefrorenen Augenblicklichkeit manifestiert. Auch aus diesem Grund berühren uns die Arbeiten des Künstlers, der Blick in unser innerstes, ungeschöntes Menschsein wird geöffnet.

Die Bronzeskulpturen des Künstlers sprechen eine ähnliche Sprache, drücken das Anliegen des Künstlers allerdings auf noch radikalere, konzentrierte Weise aus. Ohne den farblichen, flockigen Hintergrund, der in den Bildern auch die Farbskalen eines Vulkanausbruchs annehmen kann, umfängt die Bronzefiguren ein lyrischer, epischer Moment. Etwa die Figur „Albatros“ aus 2006 zeigt bei allen Extremen der gespreizten Bewegungen einen Augenblick der Stille. Die Figur scheint in im Moment ihrer höchsten Spannungsgeladenheit eingefroren, der Kopf ist nach unten gesenkt. Sie scheint in sich und ihrer Bewegung abgeschlossen, vollendet, und ganz auf den ewigen Klang konzentriert. Die Figur „Hilde“, ebenfalls aus 2006, scheint sich nun fast entspannt zu den Tönen zu wiegen, grazil streckt sie ihre Arme übereinander, die überdimensionalen Hände öffnen und schließen den umgebenden Raum. Schon anders zeigt sich das „Innige Paar“: In einer komplizierten Bewegung umschlungen, im Moment der geschlechtlichen Vereinigung, scheinen die Bewegungen aufgewühlt, stark expressiv, was durch die Unebenheit der Oberfläche, die aufgekratzt erscheint, noch gesteigert wird.

So finden wir in den Werken des Künstlers zwei Pole, zwischen denen sich sein Schaffen bewegt. Auf der einen Seite das Leben, die Hitze und Vitalität der Bewegung, die scheinbar nie endende Kraft und den Lebenswillen des Menschen, der sich in Hingabe zum Tanz am allerdeutlichsten veranschaulicht. Auf der anderen Seite den Moment der Stille, des in sich Versunken-Seins für einige Augenblicke, das Sinnieren über die lyrischen Töne und das Innehalten, im Bewusstsein der Vergänglichkeit. Es ist nicht zuletzt die Liebe, und ihr Gegenspieler, der Tod, die hier miteinander ringen. Der Titel der Ausstellung „Darlings“ bezieht sich nochmals auf die „Lieblinge“, Figuren, die ihre Lieblinge erkannt haben und sich tänzerisch, trotz ihrer Hagerkeit mächtig und kampfeslustig positionieren, um sich letztendlich füreinander zu gewinnen – manchmal gelingt dies.